Ich werde wieder sehr früh wach. Aber mittlerweile bin ich gelassen. Mein Körper wird sich schon holen, was er braucht. Gestern Abend bin ich mit meinen nassen Klamotten ins Bett gegangen, damit ich heute morgen nicht frieren muss. Die Rechnung ist aufgegangen, heute morgen bin ich trocken und warm.

Ich lege meinen Zimmerschlüssel auf den Tresen der Rezeption und mache mich auf den Weg. Zunächst halte ich an einem Konbini und kaufe mir Frühstück. Ich bin schon wieder sehr hungrig. Anschließend geht es zum Fährhafen. Ich muss mich zusammen mit den Autos und Motorrädern einreihen. Wenn ich das Rad auseinandergebaut in einem speziellen Fahrrad-Sack (Rinko Bag) gebracht hätte, könnte ich es umsonst mitnehmen. Aber das Rad plus mein Gepäck könnte ich gar nicht alleine aufs Schiff hieven ohne mehrmals zu gehen. So zahle ich lieber die Gebühr und habe keine Scherereien. Ich muss in der Spur mit der Nummer 8 warten, zusammen mit einer Gruppe Harley Davidson Fahrer. Die Fähre kommt und klappt den Bug auf, um eine Brücke auszufahren. Die Motorradfahrer und Fahrräder dürfen zuerst an Bord. Jeder wird mit Leuchtstäben und vielen Verbeugungen zur korrekten Position gelotst und die zweirädrigen Gefährte werden fachmännisch vertäut, bevor die Autos aufs Schiff dürfen.

Auf dem Schiff erhasche ich einen Fensterplatz und nehme mein Frühstück ein. Heute besteht es aus einem Brötchen mit Ei und Hähnchenfleisch, einem Reissandwich mit Dosenfleisch und Käse, einem mit Erdbeeren und Sahne gefülltem Crêpe, sowie einem Matcha-Baumkuchen und einem Kaffee.

Auf der ganzen Fähre habe ich keinen anderen Ausländer sehen können. Und obwohl ich hier aus der Menge heraussteche wie sonst nichts, fühle ich mich nicht abgelehnt oder unwillkommen. Das ist ein schönes Gefühl.
Nach gut zwei Stunden fährt die Fähre in den Hafen von Wakayama ein. Und was sehen meine entzündeten Augen? Sind das Hochöfen?! Ich bemühe Google um eine Antwort und tatsächlich, hier gibt es ein Stahlwerk. Mein Plan, nach Süden zu fahren wird von Bord der Fähre geworfen und es geht nach Norden, in Richtung Stahlwerk.



So richtig nahe komme ich nicht ran an das Werk. Direkt am Zaun des Stahlwerks liegt ein schöner, gepflegter Park und ich spreche eine Gruppe Radfahrer an, um nach dem Weg zu fragen. Alle sind begeistert von der ungewöhnlichen Begegnung. Wir tauschen Email-Adressen aus und schießen Gruppenfotos. Die Gruppe schätzt, dass ich aus Australien oder Neuseeland komme. Ob das an meinem Sonnenbrand liegt?

Ich bewundere die schönen, gefüllten Kirschblüten und ziehe weiter, immer am Zaun entlang. Es riecht nach Schwefel, Erz und Heimat.

Irgendwann lande ich auf einem Parkplatz und sehe um mich herum nur Verbotsschilder. Ich spreche einen Japaner an, der seine Bernhardiner spazieren führt. Sein Name ist Masahiro und er ist Mitarbeiter in der Kokerei. Wenn ich ihn richtig verstehe, machen sie hier Nasslöschung – und ich dachte, dass heutzutage Trockenlöschung üblicher wäre. Oder arbeitet er in der Koksgaswäscherei? Doch mein Japanisch ist unzureichend, um diese Diskussion zu führen. Leider gibt es hier kein Besucherzentrum und keine Touren. Aber ich mache Bilder mit einem echten japanischen Stahlwerker und wir tauschen Email-Adressen aus. Er schießt auch Bilder von mir. Dass ihm eben eine tollwütige Deutsche mit Hochofentattoo auf dem Parkplatz begegnet ist, das glauben ihm die Kollegen in der Kokereiwaschkaue sonst vielleicht eher nicht.



Nun führt mich mein Weg nach Süden. Es dauert eine ganze Weile, bis ich wieder am Hafen vorbeikomme. Zum Glück hatte ich keinen Plan, so kann ich auch nicht enttäuscht werden. Ich folge nun der Pacific Cycling Road. Mehr oder weniger, denn einmal bin ich schon im Kreis gefahren. Ich werde etwas müde und halte an, um die Karte auf meinem Handy zu studieren, um eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Das Universum schickt mir einen netten, älteren Herren, der mir eine Radfahrkarte der Wakayama Präfektur in die Hand drückt und ein bisschen mit mir schwatzt. Er fragt mich sehr höflich, ob er ein Foto mit mir schießen darf, obwohl ihm die Frage unangenehm zu sein scheint. Natürlich, sehr gerne! Er ist der zweite ältere Herr auf einem Fahrrad, der mich anspricht und beide benutzten das Personalpronomen 僕 (boku), was eigentlich Jungen benutzen. Ich finde das sehr niedlich, vielleicht drücken sie so aus, dass sie junggeblieben sind. 🙂


Zum Mittagessen kehre ich wie gewohnt in einer kleinen Seitenstraßenlokalität ein und bestelle das Tagesmenü. Heute gibt es Gyoza mit Hähnchen, Miso und einigen kleinen Spezialitäten. Alles ist genau beschrieben auf der Speisekarte.


Irgendwann komme ich an einem Campingplatz an. Er ist schon voll belegt (es ist Samstag und gutes Wetter), aber nach einem Telefongespräch mit dem Vorgesetzten findet man ein kleines Stückchen Land, das ein bisschen abgelegen ist. Dort kann ich mein Zelt aufstellen. Ich bin ganz nah am Meer, aber hoch genug gelegen, dass mich ein Tsunami wahrscheinlich nicht wegspülen würde.

Zum Abendessen fahre ich in ein nahegelegenes Ramenrestaurant. Ich bin so hungrig. Die Empfehlung der Bedienung ist チャーシュー麺 (cha-shu-men : Ramen mit geröstetem Schweinefleisch), also wird eine extra große Portion davon bestellt. Im Hintergrund läuft Cindy Lauper mit Time after Time. Ich fühle mich, als würde ich dem Lebensfluss folgen und nicht gegen die Strömung ankämpfen müssen.

Wort des Tages: 高炉 (kōro – Hochofen).

Hallo Lulu,
dass der japanische Stahlwerker geguckt hat wie ein Auto auf dein Hochofen-Tattoo kann ich mir gut vorstellen. Da bist du sicherlich auf der Welt die einzige.
Wir freuen uns jedrn Tag aufs Neue über deinen blog.
Falls du nochmal zu einer Eisenhütte kommst, dann frag doch mal, ob sie auch Glückauf als Gruß haben, natürlich auf japanisch.
Gruß Papa
Hallo Varti,
Ich habe Masahiro die Frage per E-Mail gestellt (so gut ich den Sachverhalt auf Japanisch darstellen konnte) und werde dir Bescheid geben, sobald ich eine Antwort erhalte. 🙂
Lieben Gruß,
Lulu
今日の出会いに感謝!引き続きライド頑張って!
アクティブな印象がオーストラリア出身に見えました!ドイツは何か重厚な印象です!
良太さん!
コメントしてくれてありがとうございます!:)
ハハ、面白いですよ!柄にもないドイツ人でしょうね。 🙂
日曜日に楽しんでください!
Luisa